21. Juni 2019: Erweckung

Vom 13.-16. Juni fanden sich 10.000 Teilnehmer eines „ökumenischen Kongresses“ in der Wiener Stadthalle ein, um dem freikirchlichen Prediger Ben Fitzgerald zu lauschen, unter dem Motto: „Awakening Austria“.

Der Australier, der mit der Bewegung „Awakening Europe“ (auch „Godfest Ministries“ genannt) nach eigenem Bekunden Europa vom Islam zurückerobern möchte, hat einen ähnlichen Karrierestart hinter sich, wie so mancher islamistische Attentäter. Angefangen hat Fitzgerald als Drogendealer, doch dann kam ein Erweckungserlebnis.
In einem Nachtklub, so sagt er, sei ihm 2002 Jesus begegnet. Und er hätte begonnen zu missionieren. In Nürnberg habe er das Reichsparteitagsgelände besucht und dort hätte er eine weitere Vision gehabt, wie er einem Interviewer freimütig bekannte. „Ich sah all diese europäischen Gesichter: Menschen mit ukrainischem Aussehen, Norweger mit blonden Haaren und blauen Augen – Spanier, Deutsche. Ich sah all diese Europäer in diesem Feld stehen, und sie sagten immer wieder einen Satz: Gott, würdest du dir Europa zurückholen? Hol Europa zurück.“ Warum ihm diese Vision ausgerechnet auf dem Reichsparteitagsgelände gekommen ist, ließ er offen. Hat er zu viele Riefenstahl-Filme gesehen?

Die „heilige Gelegenheit“, so Fitzgerald, würde man nutzen, und „eine hohe Ernte einfahren, sobald man das Schwert in die Schlacht führt“. Bei einer „Holy Spirit Night“ vor tausenden Gläubigen in Stuttgart forderte Fitzgerald die Deutschen auf, stolz darauf zu sein, Deutsche zu sein. Und spottete: „Wen interessiert Geschichte?“ Er ist davon überzeugt, „dass die Zukunft der Nationen von Europa durch radikal Glaubende verändert wird, die frei leben und Jesus mutig bekannt machen“.

Kardinal Christoph Schönborn hat es sich nicht nehmen lassen, in der Wiener Stadthalle für einen „Impuls“ vorbeizuschauen, „im Sinne einer ökumenischen Veranstaltung“. Er habe das Setting vorher geprüft. Vielleicht auch nicht sehr gründlich. 2017 war beim „Awakening Europe“ in Prag unter anderem der deutsche „Pfingstler“ Reinhard Bonnke dabei, der sich selbst als „Mähdrescher Gottes“ bezeichnet und dessen Auftritte Massenhysterien auslösen.

Üblich sind bei den Veranstaltungen von „Awakening Europe“ auch routinemäßige Gebete gegen Homosexualität und andere Sünden wider die Natur (Verhütung mit der Pille, Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe und so weiter). Zum Abschluss am Sonntag, den 16. Juni, hatte man auf der Bühne der Stadthalle schließlich einen besonders prominenten Gast zu feiern. Altkanzler Kurz. Oder „Sebastian“ wie ihn Ben Fitzgerald überschwänglich begrüßte.

Und Fitzgerald ließ es sich nicht nehmen, Sebastian Kurz persönlich zu segnen:

„Gott wir danken dir so sehr für diesen Mann. Für die Weisheit die du ihm gegeben hast. Für das Herz, dass du ihm gegeben hast für dein Volk.“ Die „Aufrichtigkeit von Kurz“ richte die Nation auf.

Das Video von der Segnung des Sebastian, auf die die 10.000 Gläubigen in der Stadthalle mit ekstatisch emporgerissenen Armen antworteten, hat im Netz Verwunderung ausgelöst. Die konservative Presse zeigte sich besorgt darüber, dass dem Altkanzler die „Message Control“ offenbar entglitten ist. Neos Gründer Matthias Strolz empfand sich als kritischer Katholik gar „in den Arsch getreten“, bei soviel Vermischung von Religion und Politik, die einen im Übrigen an alles mögliche erinnerte, nur nicht an die österreichische Verfassung und die daran festgehaltene Trennung von Kirche und Staat. Aber ob dieser Auftritt Kurz wirklich schadet?

Hinterher galt es von allen Seiten dennoch erst einmal so zu tun, als ginge es um Schadensbegrenzung. Und das hieß: nicht nur aus der Erzdiözese, sondern auch aus dem Team des Altkanzlers und von den Veranstaltern wurden diverse Nebelgranaten abgefeuert.

Kurz dämmerte es wohl schon auf der Bühne, dass sein Auftritt von vielen falsch, oder vielleicht auch gerade richtig verstanden werden könnte. Und er beeilte sich, vor allem Kardinal Schönborn für sein Gebet für Österreich zu danken.
Kardinal Schönborn hatte sich unter anderem mit Mohammed beschäftigt: „Wenn Mohammed erlebt hätte, dass die Christen eins sind, dann hätte die Welt, dann hätte auch Mohammed geglaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist.“ Wie hatte Mohammed damals, so um 614, nur schon die Kirchenspaltung und die Probleme der christlichen Ökumene ahnen können? – fragte sich vermutlich niemand im Saal.

Michael Prüller, „Kommunikationschef“ der Erzdiözese, rechtfertigt die Teilnahme von Kardinal Schönborn und auch das Massengebet für Kurz. Es sei ja üblich für Politiker zu beten und „den Heiligen Geist zu bitten, ihn mit den Gaben auszustatten, die er in seiner Funktion braucht. In diesem Fall waren es Weisheit, Rechtschaffenheit und Schutz.“ Aber Ben Fitzgerald hat in erster Linie um gar nichts gebeten. Er hat Gott für seinen treuen Mitkämpfer „Sebastian“ gedankt, den er ganz offenkundig für den geeigneten Mann hält, seinen Kreuzzug nun auch in Österreich zum Erfolg zu führen.

Auch der Sprecher der Veranstalter war um Desorientierung bemüht. Man hätte Kurz ja „nur“ als Bundeskanzler und das schon vor langer Zeit eingeladen. Auch wenn es ein anderer aus einer anderen Partei gewesen wäre, hätte das nichts geändert. Und es hat offenbar niemand gewundert, dass Sebastian Kurz diese Einladung an den Kanzler der Republik kurzerhand in sein Privatleben als Kandidat mitgenommen hat. Überhaupt, so ließ er hinterher mitteilen, habe ihn die Segnung überrascht. Und man hätte ihm doch angesehen, dass er etwas „starr“ reagiert hätte, für seine „Verhältnisse“. Nun ja, man wird auch nicht alle Tage von einem charismatischen Retter des Abendlandes gesegnet.

Dabei kennt Kurz sich mit der Szene der radikalen Freikirchen und Charismatiker schon ein wenig aus, hat er doch schon als Minister am „Marsch für Jesus“ 2016 teilgenommen (wie auch Kardinal Schönborn), der „zufällig“ am gleichen Tag wie die Wiener Regenbogenparade stattfand, an der nun auch die junge ÖVP teilnehmen möchte.

Und er hält über die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler oder seinen Vertrauten Bernhard Bonelli Kontakt sowohl zu Freikirchen wie zum katholischen Rechtsaußen-Orden Opus Dei. Aber diese Kontakte bestehen schon länger. Aus den Mitteln des von der ÖVP kontrollierten „Wiener Stadterweiterungsfonds“ wurden, wie man jetzt vom Rechnungshof erfährt, zum Beispiel 100.000,- € an eine der Opus Dei nahestehende katholische Universität in Rom überwiesen – bei der folgenden päpstlichen Ordensverleihung im Mai 2012 ließ sich auch der Integrationsstaatssekretär und ehemalige Wiener Gemeinderat Sebastian Kurz fotogafieren. 250.000,- € gingen hingegen an die Erzdiözese für einen Kirchenneubau in Aspern, der allerdings bis heute nicht zustande kam.

Insofern wundert es nicht, wenn der Ex-Kanzler nun auch das „Heilige“ in die Politik einführt. Bei der Verkündung seines 5 Punkte Programms für die anstehende Nationalsratswahl durfte vor wenigen Tagen auch die „Verteidigung von dem was uns heilig ist“, nicht fehlen: die „österreichische Identität“ und die definiert Kurz als das „christlich-jüdisch-abendländische Erbe.“ Womit der Kandidat endgültig bei der neuen Kreuzzugsmetapher angekommen ist, mit der religiöse Fundamentalisten seit Jahren die Werte der Aufklärung und der Trennung von Kirche und Staat lächerlich machen und für ihren Kulturkampf gegen den Islam missbrauchen.
Vielleicht haben wir in Wien ja auch bald Steve Bannon zu Gast, Donald Trumps früheren Chefstrategen, der sein ultrakonservativ-katholisches „Diginitas Humanitas Intitut“ zur „Gladiatorenschule für Kulturkämpfer“ und zu einer „Akademie für den jüdisch-christlichen Westen“ ausbauen will, die die nächste Generation der „Anti-Establishment Politiker“ heranziehen soll.

Man erinnert sich wehmütig an den aus Hohenems stammenden liberalen Wiener Gemeinderat Lucian Brunner, der 1899 noch erfolgreich gegen eine Kirchenbausubvention der Stadt Wien für einen von Bürgermeister Lueger geforderten Kirchenneubau in Breitensee geklagt hatte. Er bekam vor dem Verwaltungsgericht schließlich Recht. Schon damals sah die österreichische Verfassung ja eine Trennung von Kirche und Staat vor. Aber das bewahrte Brunner nicht davor, zum Lieblingsfeind der Wiener Antisemiten zu werden. Soviel zum „jüdisch-christlichen Erbe“.

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14. Juni 2019: Papamonat 2.0

Hofer und Strache haben ein ernstes Gespräch miteinander geführt. Und nun darf man sich auf einen Deal der besonderen Art gefasst machen. Der Deal hat einen Namen: Philippa. Man kann es auch einen ausgedehnten „Papamonat“ nennen.

Kurz noch einmal, bevor wir es endgültig vergessen: Der Versuch, den Staat Österreich, seine Presse, sein Parlament, seinen Straßenbau und was weiß ich noch alles an eine russische Oligarchin zu verkaufen, um im Gegenzug an die Macht zu kommen, all das ist in diesem Land offenkundig kein Grund mehr, eine politische Karriere zu beenden.

Rechtsradikale haben mit einer Vorzugsstimmenkampagne bei der Europawahl dafür gesorgt, dass HC Strache im Spiel bleibt. Das ist wahre Treue, so wahr, dass sie sogar Straches „Distanzierung“ von den Identitären und die nachfolgenden wechselseitigen Beschimpfungen locker überlebt hat.

Nun darf Strache damit kokettieren, ins Europaparlament einzuziehen – um die „rechtsnationale“ Fraktion zu verstärken (die bei der Wahl ja deutlich unter ihren eigenen Erwartungen geblieben war). Und über eine Kandidatur in Wien darf auch schon wieder spekuliert werden. So hält man sich im Gespräch. Die 800.000 Facebookfreunde behält man da auch lieber im Privatbesitz. Die kann man nämlich immer brauchen. Auch wenn die FPÖ sie bezahlt hat.

Angeblich ist das der FPÖ alles unangenehm. Dafür gäbe es auch Gründe. Wenn die FPÖ nicht die FPÖ wäre. Beim Versuch diese Abgründe zu ergründen, bekommt man doch niemals festen Boden unter die nassen Füße.

Die FPÖ hingegen schwimmt weiter oben. Es ist ihren Wählern nämlich egal, was die da unter Wasser treiben.

Wenn der nun zum Kopf einer „Bewegung“ mutierte Altkanzler sich von manchen dafür feiern ließ, die FPÖ gezähmt zu haben, so ist in dieser Hinsicht der Lack wohl endgültig ab. Altinnenminister Kickl hat Herrn Kurz schon leutselig ausgerichtet, dass er unter ihm auch wieder Kanzler werden dürfe. Kaum jemand den ich kenne, würde im Moment wirklich ausschließen, dass es nicht genau darauf wieder hinausläuft.

Herr Strache hingegen berät sich mit Herrn Hofer, wie man die Dinge weiter in der Schwebe halten kann. Schließlich sei ja auch bis heute noch nicht aufgeklärt, wie das Ibiza-Video entstanden sei. Als ob das irgendjemand wirklich interessieren würde. Am wenigsten jedenfalls die FPÖ, die sich nicht darauf festlegen lassen möchte, an welche Verschwörung die Leute glauben sollen. War’s der Silberstein oder der Mossad, die SPÖ oder die Grünen, der Böhmermann oder der Wolf, ja gar der Kurz selbst? Oder doch die russisch-österreichische Regisseurin Elena Tikhonova, die ein paar der Dialoge aus der Villa auf Ibiza ja offenbar schon vor Monaten in ihrem ersten Spielfilm „Kaviar“ verwendet hat, der gerade in die Kinos kommt?

Für die Zeit bis wirklich alles vergessen ist, haben sich Strache und Hofer, so hört man, nun eine originelle Zwischenlösung ausgedacht. Strache verzichtet auf sein Mandat in Brüssel und seine Frau Philippa darf für ihn in den Nationalrat einziehen.

Selbst für „Vorstadtweiber“ oder absurde Komödien wie „Kaviar“ wäre das denn doch wahrscheinlich ein zu absurder Plot, um beim Publikum durchzugehen.

Aber in den österreichischen Nachrichten ist so eine Meldung absolut glaubhaft. Wer in Zukunft hierzulande noch halbwegs in der Realität leben möchte, sollte das Kino möglichst nicht mehr verlassen.

21. Mai 2019: Ich

Die Rede geht mir noch nach. 7 Minuten und 37 Sekunden brauchte Kanzler Kurz, um seine Konsequenzen aus dem Desaster seiner Koalition mit der Freiheitlichen Partei Österreichs zu verkünden. Fragen von Journalisten wurden nicht zugelassen.

Das wichtigste Wort seiner Rede war zugleich die Zusammenfassung seines Programms: „Ich“. „Ich habe“, ich musste“, „ich möchte“, „ich werde“…

Sebastian Kurz hat in dieser kurzen Rede in wohlgesetzten Worten alle Rollen durchgespielt, die ihm seine kleine, eingeschworene Schar – und die vor allem er sich selbst auf den Leib geschrieben hat. Er kommt zu uns, als einer von uns, und tritt heraus, um uns die Wahrheit zu künden, für uns zu leiden, uns zu dienen und uns aus dem Jammertal zu führen.

Ich bin einer von Euch
Sebastian Kurz beginnt seine Rede mit einer Umarmung. Nach den 24 Stunden voller Dramatik möchte er seine Einschätzung der Situation mit uns „teilen“.

Nun, wie man jetzt weiß, weiß er schon etwas länger als wir von dem, was da ans Licht getreten ist. Aber er möchte sich gerne zu uns gesellen. Und noch einmal das tun, was er schon vor zwei Jahren getan hat. Er möchte sich rufen lassen, aus dem Heer der Gelähmten und Stillstehenden, er möchte hervortreten und einen Auftrag annehmen.

„Ich bin vor zwei Jahren angetreten um Veränderung in unserem Land durchzusetzen.“ Angetreten um Stillstand und Streit zu beenden.

Wir wissen, dass er vor zwei Jahren schon länger damit beschäftigt war, jedes gemeinsame Reformvorhaben der „alten“ Koalition zu torpedieren. Dass er seit Monaten damit beschäftigt war, seinen Vorgänger zu beschädigen. Dass er, finanziert durch Steuermittel, also den engsten Mitarbeitern in seinem Ministerium, die Übernahme der „alten“ Volkspartei generalstabsmäßig geplant hat und schließlich, nachdem er gehörig zu ihrer Lähmung beigetragen hatte, aus der Deckung kam und seinen Putsch erfolgreich durchzog. Aber er geht davon aus, dass dies niemand interessiert.

Ich bin die Wahrheit
„Ich habe damals ein Versprechen abgegeben, ich habe der Bevölkerung, den Wählerinnen und Wählern versprochen, dass ich mir immer selbst treu bleiben werde, egal was kommt. Ich habe auch versprochen, dass ich Wahrheiten aussprechen werde, selbst wenn diese unangenehm sind, und ich habe gesagt, dass ich tun werde, was richtig ist und was notwendig ist.“

Mit diesem Zirkelschluss wird alles richtig und notwendig, was er tut. In der Tat, er bleibt sich treu, denn alles was sein ist, ist gut und ist wahr. Noch größer als er ist nur eines, seine Sendung. Und vor ihr verneigt er sich in Demut.

Ich konnte nicht anders
„Ich war mir sehr wohl bewusst, dass der Weg mit der FPÖ als Regierungspartner Widerstand auslösen wird. Aber man muss sagen, dass zum damaligen Zeitpunkt die einzige Partei, die bereit war, eine Koalition einzugehen, die Freiheitliche Partei war. Wenn ich jetzt auf die letzten zwei Jahre inhaltliche Arbeit zurückblicke, dann tue ich das aus voller Überzeugung und mit großer Freude.“

ER hat getan, was getan werden musste. Nur ER war dazu bereit, nur ER war groß genug, diesen Auftrag anzunehmen, der noch größer war als er selbst. Und ja, ER hat uns aus dem Jammertal des Stillstands hinausgeführt. Und jetzt ist er bescheiden und vereinigt sich im Wir – und zählt die Erfolge seines Wirkens auf:
„Wir haben es geschafft“, die „illegale Migration nach Österreich“ zu reduzieren. Nun sind in Wirklichkeit die Zahlen dramatisch gesunken, noch bevor er angetreten ist, und dies auch nicht auf Grund der menschenverachtenden Abschiebepraxis sondern aufgrund eines von Angela Merkel durchgesetzten Türkei-Deals über den man nicht mehr laut reden möchte.

„Wir haben es geschafft“, die arbeitende Bevölkerung zu entlasten. Bis jetzt hat man freilich den Menschen Entlastungen eher versprochen, als „geschaffen“. Und zugleich hat man bei den Ärmsten schon gespart.

„Wir haben es geschafft, die Schuldenpolitik zu beenden“. So kann man reden, wenn die Steuereinnahmen aufgrund von Hochkonjunktur besonders üppig sprudeln. Aber auch darum geht es gar nicht.

An dem was „seine“ Regierung getan hat, darf weder etwas falsch sein, noch irgendetwas nicht „unser Verdienst“. Und darum dankt er auch allen Regierungsmitgliedern, auch jenen, die er gerade im Begriff ist, vor die Tür zu setzen.

Ich habe gelitten
Doch nun muss der Satz vorbereitet werden, der hinterher zitiert werden soll: „genug ist genug“. Noch immer wartet das Publikum auf ein Wort zum eigentlichen Anlass dieser Rede: dem Videobeweis dafür, mit wem ER dieses kurze goldene Zeitalter eröffnet hat. Und so kommen wir vom Heilsbringer zum Märtyrer. Denn ER hat dafür Opfer bringen müssen.

„Sie haben wahrscheinlich aber auch alle mitverfolgt, dass in den letzten beiden Jahren für diese inhaltlichen Erfolge ich bereit sein musste, viel auszuhalten und auch vieles in Kauf zu nehmen: über das Rattengedicht, über die Nähe zu rechtsradikalen Gruppierungen bis hin zu immer wiederkehrenden Einzelfällen. Und auch, wenn ich mich nicht immer öffentlich dazu geäußert habe, so können Sie sich wahrscheinlich vorstellen, gab es viele Situationen, in denen mir das sehr schwergefallen ist, das alles herunterzuschlucken.“

Während wir ihm lauschen, haben wir noch immer das Gefühl, dass hier jemand spricht, der zu nichts anderem treu ist, als zu sich selbst.
Auch jetzt ist noch immer nicht die Rede von jenen, die unter all dem, was ER da im Stillen hinunterschlucken musste, womöglich tatsächlich leiden mussten. Von ihnen wird überhaupt nicht die Rede sein.

Und nachdem wir nun erfahren haben, dass ER im Stillen gelitten und ausgeharrt hat, kommt Kurz nun tatsächlich zum Kern. Und der heißt in seinem Kopf womöglich noch immer so.

Es geht nicht um mich
„Auch wenn die Methoden klarerweise für mich schon sehr eindeutig an Tal Silberstein erinnern, verachtenswert sind der Inhalt, der ist einfach, wie er ist.“

Schon HC Strache hat am Mittag das Video als Teil eines Komplotts dargestellt. Auch Straches Verschwörungstheorie gipfelt im Signalwort „Silberstein“, den Inbegriff des Bösen: Der Jude und die Sozialdemokratie waren es also gewesen. Man ist versucht zu denken: Wie immer.
Schon vor zwei Jahre bekam der unglückliche israelische Marktforschungswunderdoktor von türkis und blau den Nimbus des Dämonen schlechthin umgehängt. Dabei hat er eigentlich nur die SPÖ in einen selbstzerstörerischen Strudel höchst fragwürdiger Methoden hineingezogen, mit denen Wählerverhalten ausgetestet werden sollte. Schäbig.
Aber vollkommen wirkungslos, bis der Böller in den Händen der Sozialdemokraten detonierte und entsprechend Schaden anrichtete. So wurde Silberstein schon damals zum Sündenbock für alles, was die Republik schon lange an Korruption und miesen Wahlkampftaktiken zu bieten hatte. An ihm konnte man, wie man hier so schön sagt, sich abputzen. Und so wurde Silberstein schließlich unfreiwillig zum wichtigsten Wahlkämpfer: von Kurz und Strache.

Und immer noch ist sich nicht nur Strache sondern auch Kanzler Kurz nicht zu schade dafür, es mit diesem erfolgreichen Manöver noch einmal zu versuchen. Während wir uns eher an die Praxis investigativer Journalisten erinnern, die schon Kurz‘ Parteikollegen und ehemaligen Innenminister Ernst Strasser ins Gefängnis brachte.

„Auch wenn die Methoden klarerweise für mich schon sehr eindeutig an Tal Silberstein erinnern, verachtenswert sind der Inhalt, der ist einfach, wie er ist. Was über mich in diesem Video gesagt wird von Beschimpfungen bis hin zu sehr derben Anschuldigungen und Unterstellungen, das ist alles eigentlich nebensächlich.“

Vier lange Minuten sind vergangen. Kurz ist wieder beim Thema angekommen. Das Thema ist: er selbst, die Infamie seiner Gegner, und seine eigene Bescheidenheit. Das es in dem siebenstündigen Video aus Ibiza irgendwann auch um angebliche Sexpartys des späteren Kanzlers ging, genauso wie übrigens um angebliche Sexpartys des früheren Kanzlers (und beides verrät allenfalls etwas über die Phantasien desjenigen der sie ausspricht), das ist nicht nur nebensächlich, es hat hier schlicht nichts zu suchen. Es gehört nirgendwo hin, und am wenigsten in diese Rede an diesem Tag.
Aber es ist Kurz wichtig genug, es genau hier an ERSTER Stelle zu sagen. So wie er fortwährend sagt, „es geht nicht um mich“, um genau das zu sagen: es geht NUR um ihn.

Wenn in dem Video zu sehen ist, wie zwei zugekokste Politiker sich an der Phantasie ihrer zukünftigen Allmacht berauschen, dann könnte einem dazu ja auch einfallen, dass sie dies nicht zuletzt deswegen tun, weil sie wissen, dass – wir sind im Wahlkampf 2017 – sich gerade ein junger Politiker in seiner Partei an die Spitze geputscht hat, der mit ihnen, und nur mit ihnen einen Teufelspakt eingehen möchte. Sie sind sich ihrer Sache schon so sicher. Und das schlimmste ist, sie haben allen Grund dazu.

Und neben Koks und Alkohol und Red Bull und der Anblick einer offenbar attraktiven Frau ist dies das stärkste Rauschmittel, das sie kennen. Der Vorgeschmack der Macht. Das macht sie gefährlich, aber auch verletzlich. Empfänglich für eine Falle.

Kurz, so wie er jetzt – frei von jedweder Zerknirschung, frei von jeder Einsicht in die eigene Fehlbarkeit, frei von allen Trieben und menschlichen Regungen – vor der Presse und damit vor der Öffentlichkeit steht, demonstriert vor allem seine Unverletzlichkeit. Er ist Asket. Das einzige Rauschmittel, das er kennt, ist er selbst, sein Erfolg.

So kann er nun den an sich selbst gescheiterten Rivalen ihren Mangel an Einsicht vorwerfen.

„Und es entspricht, das möchte ich auch ganz ehrlich sagen, nicht dem politischen Zugang, den ich habe, nämlich der Republik und den Menschen in unserem Land zu dienen.“

Ich könnte jetzt
Aber natürlich hat Kurz noch etwas zu tun: er muss den nächsten Wahlkampf beginnen. Er weiß. Die Zeit läuft ihm sonst davon. Er muss zeigen, dass er das Gesetz des Handelns in der Hand hat, auch wenn er tut, was er muss. Und dieses müssen, muss einem Höheren geschuldet sein.

„Ich könnte natürlich es mir leicht machen und versuchen irgendwie die eigene Macht aufrecht zu erhalten, ich könnte Köpfe tauschen und so tun als wäre nicht viel gewesen, ich könnte einen fliegenden Wechsel zur Sozialdemokratie anstreben…“

Wir wissen, all das könnte er natürlich nicht. Lediglich Köpfe zu tauschen wäre angesichts dessen, was sich gerade offenbart hat, Selbstmord auf offener Bühne. Und die Sozialdemokratie ist gerade ganz unten und wartet nicht auf SEINE Gnade, sondern auf Neuwahlen. Und die genau werden jetzt verkündet. Von IHM. Er trifft die Entscheidung. Er trifft sie einsam, bescheiden und er denkt dabei keine Sekunde an sich und seine eigene Macht.

Ich allein muss führen
„Ich möchte gerne für unser wunderschönes Land arbeiten und zwar mit meinem politischen Zugang, mit meinem Kurs und auch mit der Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung. Aber ganz ohne Einzelfälle, Zwischenfälle und sonstige Skandale. Ich glaube, dass das derzeit mit niemandem möglich ist.“

ER ist allein, die einzigen, mit denen er sein großes Projekt der „Veränderung“ beginnen konnte, haben sich als verführbar erwiesen, verführbar von ihren eigenen Trieben, von Rauschmitteln, schönen Frauen, Geld und Macht. Nur er, der Asket, kann das Land uneigennützig führen. Und daher bittet er demütig um unsere Vollmacht. Freilich, man muss seinen Namen noch immer auf dem Wahlzettel finden können, noch steht dort irgendetwas ähnliches wie ÖVP. Und daher muss er nun auch die Partei, die er sich gefügig gemacht hat und auf deren Trümmern er nach oben gestiegen ist, am Ende, ganz am Ende seiner Rede wenigstens einmal erwähnen. „Nur wenn die Volkspartei, nur wenn wir nach der Wahl die Möglichkeit haben, auch wirklich eindeutig den Ton anzugeben, dann können wir die Veränderung, die wir begonnen haben, auch zu Ende bringen und fortsetzen.“

Und damit hat die Volkspartei auch schon wieder ausgedient. Denn Kurz bietet nicht seine Partei zur Wahl an, auch nicht eine politische Idee, die über „weniger Steuern“ und „weniger Migranten“ und „weniger Schulden“ hinausreichen würde. Kurz bietet Kurz, den neuen Führer, den er demütig und bescheiden „eine Person“ nennt.

„Ich glaube fest daran, dass es in unserem Land klare Verhältnisse und damit auch einen klaren Wählerauftrag an eine Person geben sollte, die das Land führen möchte. Und darum werde ich in den kommen Wochen und Monaten werben und dafür bitte ich natürlich um ihre Unterstützung. Vielen Dank.“

19. Mai 2019: Mal wieder eine Sonntagsrede

Irgendwie hab ich in den letzten Tagen gezögert, diese Sonntagsrede zu schreiben. Immer wieder habe ich gedacht, besser ich warte noch einen Tag, und noch einen Tag…. Dann kam der Freitag Abend.

Wenn Ihr für Verschwörungstheorien empfänglich seid, dann glaubt jetzt bitte nicht, ich hätte vorher etwas gewusst.

Ich sage auch ganz offen, ich hab mich weder am Freitag, noch gestern, noch heute so richtig erleichtert gefühlt. Auch wenn es Monumente gab, in denen man tief Luft holte und sich der Illusion hingab, dass der Spuk vielleicht vorbei ist.

Aber der Spuk ist nicht vorbei. Und es fällt heute schwer, nur über Europa zu reden.

Ich wollte über Flüchtlinge sprechen, deren Ermordung, „Konzentrierung“, Vergewaltigung und Versklavung die EU derzeit, unter dem Druck nationalistischer Politiker, darunter besonders lautstark unser eigener Bundeskanzler, der libyschen Küstenwache und irgendwelchen Warlords in Nordafrika überlasst. In der neo-liberalen Terminologie unserer Bundesregierung heißt das „Outsourcing“.

Ich wollte darüber sprechen, wie unsere Bundesregierung, allen voran unser Bundeskanzler, sich über die EU lustig macht und von der Abschaffung des „Regulierungswahnsinns“ herumfaselt. Anstatt die einfache Wahrheit auszusprechen, dass es einen gemeinsamen Markt, und erst Recht sozialen Zusammenhalt, ohne so manche Vereinheitlichung des Wirrwarrs unterschiedlicher nationaler Verordnungen überhaupt nicht geben kann.

Ich wollte darüber sprechen, dass man uns jeden Tag Sand in die Augen streut und auf die EU-Bürokratie schimpft, statt endlich einzugestehen, dass man selbst in Brüsseler Hinterzimmern genau das beschließt, wofür man hinterher die „böse EU“ verantwortlich macht. Denn wenn man das zugäbe, dann müsste man ja endlich über mehr Demokratie in der EU sprechen und über mehr Verantwortung für das EU Parlament. Ja, dann müsste man an die Stelle der bisherigen Versammlung von Stammesführern (vulgo Ministerrat) endlich ein Parlament mit europäisch und nicht national nominierten Kandidatinnen und Kandidaten setzen.

Es gäbe viel zu reden über eine andere EU, über mehr Europa und nicht weniger, angesichts der tiefen Krise, in die Nationalisten aller Couleur und allen voran unsere eigenen, Europa gestürzt haben. Und dass nicht zuletzt, in dem sie diejenigen dafür verantwortlich machen, die dafür am allerwenigsten können. Die Flüchtlinge und Migranten, die uns jeden Tag beweisen, dass Europa eigentlich ein ganz attraktiver Platz auf diesem Erdball ist.

Die Nationalisten Europas arbeiten an einem grandiosen Projekt: Sie wollen das ändern. Und wenn es gelungen ist, Europa wieder zu einem unwirtlichen Ort auf diesem Erdball zu machen, dann erst wird die Mittelmeerroute wirklich geschlossen sein, oder dann brauchen sie vielleicht wir. Die Länder Europas, die auf diesem Weg schon besonders weit sind, sie haben tatsächlich ein Problem mit Migration, mit Migranten, nämlich mit ihren eigenen, die diese Länder in Scharen verlassen. Sie verlieren täglich Menschen. Sie sterben aus. In Polen und in Ungarn, den großen Vorbildern unserer Regierung, wird die Bevölkerung am Ende dieses Jahrhunderts um ein Drittel geschrumpft sein, und doppelt so alt.

Manche werden sagen, das sei doch seit heute gar nicht mehr unsere Regierung. Und ich frage zurück, wieso? Noch sind sie, bis auf den Vizekanzler, alle noch da.

Und was man sich jetzt anschauen kann, es geht über alles das, was ein Jan Böhmermann sich ausdenken könnte, noch weit hinaus.

Was man sich da anschauen kann, ist das ungeschminkte Gesicht derer, die noch heute alles in Österreich unter ihrem Kommando haben, was eine Uniform trägt. Zum Beispiel Polizisten, die bei Hausdurchsuchungen von Rechtsradikalen höflich anklopfen und warten bis Herr Sellner für seine Gäste aufgeräumt hat – aber bei der Bekämpfung von Straßenkriminalität, Verzeihung bei einer Hausdurchsuchung beim BVT, gründlich alles mitgehen lassen, womit man verdeckt arbeitende Beamte im Einsatz gegen Rechtsradikale vielleicht enttarnen könnte.

Ich hab keine Lust, diese Liste jetzt vorzutragen, denn sie ist schrecklich lang und schrecklich unerquicklich. Und ich will auch nicht länger reden, als Bundeskanzler Kurz gestern gebraucht hat, um den nächsten Wahlkampf in Österreich zu beginnen. Ich will nur zugeben, dass ich fassungslos bin.

Ein Politiker, der Österreich in die größte politische Katastrophe seit Bestehen dieser Republik geführt hat, der Militär, Polizei, Verfassungsschutz und Beamtenapparat einer, wie soll man es anders denn bitte nennen, kriminellen Vereinigung überantwortet hat, die man nun in einem Video bei der Verabredung von Straftaten beobachten darf, dieser Politiker stellt sich 24 Stunden später 7 Minuten lang vor die Presse und bittet ohne eine Spur von Zerknirschung die Wähler darum, ihm – und er formuliert es sorgsam: ihm als Person, nicht einmal seiner Partei, die ihm inzwischen offenbar vollkommen egal ist – nun zur Belohnung eine absolute Mehrheit zu schenken. Nachdem die Opposition sich weitgehend selbst ausgeschaltet hat. Aber die Sonntagsdemos zeigen auch, dass man ja wieder aufstehen kann, auch wenn man schon darniederliegt.

Herr Kurz bringt es fertig, seine großartigen Erfolge aufzuzählen und sich als leidendes Opfer der von ihm vor zwei Jahren selbst putschartig herbeigeführten Neuwahl und Koalitionsbildung zu deklarieren, und sich darüber zu beklagen, keine Alternative gehabt zu haben.

Und er bringt es tatsächlich fertig, den investigativen Journalismus, der seinen besten politischen Freunden die Maske vom Gesicht gezogen hat, mit fast den gleich Worten wie sein Ex-Freund Strache ein paar Stunden zuvor, als eine „Methode wie die von Tal Silberstein“ zu denunzieren. Eine saubere Verschwörungstheorie ist das: die Juden und die Sozialdemokraten sind’s gewesen. So einfach ist das schon wieder.

Ein anderer Vergleich wäre da, ginge es ihm ein Augenblick lang um die Sache, vielleicht angemessener aber natürlich weniger wählerwirksam gewesen. Gab es da nicht zwei britische Journalisten, die vor acht Jahren die Karriere von Herrn Kurz‘ ehemaligem Parteifreund und ehemaligem Innenminister Ernst Strasser beendet haben? Das Ganze endete mit drei Jahren unbedingter Haft. Für Ernst Strasser, nicht für die Journalisten.

Herr Kurz aber steht vor dem von ihm selbst angerichteten Trümmerhaufen und macht Wahlkampf. Othmar Karas wird als Feigenblatt nicht mehr gebraucht. Mit diesem zynischen Spiel gehen wir in die letzte Woche vor der Europawahl. Und ich kann Euch verraten. Mein Optimismus hält sich in Grenzen. Denn: wenn das was bisher möglich war, möglich war, dann werden wir uns noch wundern, was alles möglich ist.

Oder geht vielleicht durch die ÖVP am Ende doch noch ein Ruck und sie machen diesem kurzen, sich wie eine Ewigkeit anfühlenden Spuk ein Ende? Oder geht vielleicht durch den Souverän, die Wähler ein Ruck? Man wird ja noch träumen dürfen.

Rede gehalten auf der 20. Vorarlberger Sonntagsdemo auf dem Montfortplatz in Feldkirch.

18. Mai 2019: Und der Kurz geht um die Ecke

Eigentlich wollte ich mich heute noch den offensichtlich guten Beziehungen zwischen dem österreichischen Innenministerium und dem Chef der österreichischen Identitären widmen. Jetzt mach ich das nur noch fürs Protokoll. Und warte wie alle anderen auch darauf, wann der Kanzler vor die Presse tritt und erklärt er habe mit alldem nichts zu tun. Nicht mit den von ihm ins Bett geholten Kriminellen, nichts mit den von ihm ins Amt gesetzten Chefs aller Österreicher in Uniform, nichts mit den zynischen Witzen mit „Ausreisezentren“ und „vor Ali sicheren E-Cards“. Er wird sich feiern lassen, weil er mit eigentlich überhaupt nichts etwas zu tun hat.

Über die Hausdurchsuchung bei Identitären-Chef Martin Sellner wurden in den letzten Tagen immer mehr interessante Details bekannt. Aber wie es aussieht wird vielleicht nicht nur der Vizekanzler sondern auch der kurze Chef des Innenministeriums bald in den Sonnenuntergang reiten.

Hier in gebotener Knappheit die Details. Es gibt heute ja wichtigeres, nämlich die Frage, mit welchen geschliffenen Worten sich Kanzler Kurz als Saubermann der Nation präsentieren wird, der vollkommen überrascht ist, mit wem er da 500 Tage lang gekuschelt hat.

41 Minuten vor der Hausdurchsuchung löschte Martin Sellner seinen Mailwechsel mit dem Mörder von Christchurch, und macht, von einigen jedenfalls, von anderen vielleicht auch nicht, Screenshots. Martin Sellner (30) bedankte sich bei Brenton Tarrant für die Spende über 1.500 Euro. Brenton Tarrant antwortete, dies sei nur eine kleine Summe angesichts dessen, was Sellner leiste.  Dieser wiederum schrieb nach Neuseeland zurück: „Das gibt mir wirklich Energie und Motivation“ und beendete das Mail mit: „Wenn Du mal nach Wien kommst, müssen wir einen Kaffee oder ein Bier trinken gehen“.

Aber die Beamten waren sich offenbar nicht sicher, ob Sellner mit dem Aufräumen schon fertig war, als sie höflich bei ihm anklopften.

So seien die Beamten, heißt es, zwar um 13 Uhr vor Ort gewesen, jedoch hätte es auf das Betätigen der Klingel, „die ohne Funktion zu sein scheint“, keine Reaktion gegeben. Mehrmals haben sie geklopft, aber betreten habe man die Behausung nicht zeitnah, obwohl „vermeintliche Geräusche aus dem Wohnungsinneren vernommen“ wurden. Nach fast einer Viertelstunde habe Martin Sellner dann die Tür geöffnet. Man lässt ja Gäste nicht in eine unaufgeräumte Wohnung.

Unter den Spendern an Martin Sellner und seine rechtsradikale Truppe war im Übrigen auch ein Kabinettsmitarbeiter von Sozialministerin Hartinger-Klein. Aber auch die wird sich nun für ihre Bosheiten wohl eine neue Plattform suchen müssen.

Uns bleibt Herr Kurz, „der von allem nichts gewusst“. Bleibt die Frage, ob der junge Mann endlich sein Studium beendet und sich eine ordentliche Arbeit sucht. Oder weiter macht wie bisher.

Dann wird man uns irgendwann mit einer zeitgemäßen Interpretation des Liedes von Mackie Messer beglücken.

16. Mai 2019: Von Gurken, Schnitzeln, Pommes und andern nationalen Heiligtümern

 

Unsere Bundesregierung erprobte ein neues politisches Modell. Die Europawahlen waren dafür das Labor. Der schwarze Spitzenkandidat der türkisen Regierungshälfte repräsentiert die „links-liberale“ europafreundliche Opposition. Der braune Spitzenkandidat der blauen Regierungshälfte hingegen schürt die Ressentiments gegen Europa. Und der jugendliche Kanzler in der neuen Mitte, die scheinbar ungefähr da liegt, wo früher die rechtspopulistische Schmuddelecke begann, hält sich warm, in dem er von einer zu anderen Seite hüpft.

Am Wochenende ruft er nun zum Kampf gegen „EU-Regelungswahnsinn“ und „Bevormundung“ auf, ein paar Tage später, fordert er die Zentralisierung entscheidender Kompetenzen und automatische Sanktionen gegen Mitgliedsstaaten, die sich nicht an die Regeln halten. Für letzteres würde durchaus einiges sprechen, wenn zugleich das europäische Parlament endlich demokratische Bedeutung und Verantwortung in Europa bekäme. Aber meint Kurz irgendetwas von dem, was er sagt ernst?

Was ihm und seinem Kanzleramtsminister zum Thema Regelungswahnsinn einfiel, spricht nicht wirklich dafür, dass da jemand irgendetwas ernst meinen würde. Keiner bräuchte, so heißt es, EU-Vorgaben für die Herstellung von Schnitzel und Pommes. Das leuchtet ein. Vor allem, weil es die in der behaupteten Form ja auch gar nicht gibt. Was es freilich gibt, sind Vorgaben für den grenzüberschreitenden Handel mit Schnitzel und Pommes. Die sind für einen gemeinsamen Markt wohl auch kaum vermeidbar. Schließlich wollen manche Hersteller von Pommes diese auch in anderen EU-Ländern verkaufen dürfen, ohne sich jedesmal mit sieben verschiedenen Verordnungen auseinanderzusetzen. Aber dass in irgendeinem Restaurant, dessen Koch seine Pommes noch selber aus den Kartoffeln schneidet, je ein EU-Kommissar vorbeigekommen wäre, um die Länge zu überprüfen, davon haben wir bisher noch nichts gehört.

Und so herrscht auch in meinem Rotary-Club, unter gestandenen Wirtschaftstreibenden und ehemaligen Kurz-Wählern, derzeit eher Kopfschütteln über den populistischen Steckenpferd-Ausritt aus der Kinderstube des Kanzleramtes.

„Weg mit tausend EU-Verordnungen“, mit dieser Parole hält man nun leider nicht nur die Stimmen vom rechten Rand bei der Stange, man schürt auch genau jene Stimmung, die jeden Gedanken an mehr europäische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf dem Altar des wiedererwachten Nationalismus opfert: jeden Traum von einer strikterer Beachtung von gemeinsamen Regeln, von schnelleren Entscheidungen, von einer Verkleinerung von Gremien, demokratischeren Befugnissen des Parlaments, oder – „horribile dictum“ – gar Mehrheitsentscheidungen auch gegen die Regierungen einzelner Mitgliedsstaaten.

Wahlen kann die türkisblaue Partei auf diese Weise gewinnen. Und auf jeden Fall die Herrschaft über das Reich Absurdistan.

Dankenswertweise liefert uns Johannes Huber auf seinem Blog „Die Substanz“ auch dazu ein paar instruktive Fakten. Woraus besteht der „EU-Regelungswahnsinn“ eigentlich? Besonders hohe Wellen schlug z.B. schon vor langer Zeit die „EU-Gurkenverordnung“, die als Musterbeispiel der Gängelung durch EU-Bürokraten gehandelt wurde. Diese Verordnung enthielt die Festlegung, dass eine Gurke der Handelsklasse „extra“ auf zehn Zentimeter maximal eine Krümmung von 10 Millimeter aufweisen dürfe. Diese Regelung trat an die Stelle, oder besser an die Seite, der „heimischen“, der österreichischen „Qualitätsklassenverordnung“, die für Gurken der höchsten Qualitätsklasse, also „extra“, folgendes festlegte: sie müssten „sortentypisch gut entwickelt, gut geformt und fast gerade sein (maximale Krümmung 10 mm auf 10 cm Länge der Gurke) …“ Aha.

Aber um die Realität geht es ja auch nicht, bei diesen Propagandaübungen, sondern darum, eine in Lähmung erstarrte Opposition vollends lächerlich zu machen. Es ist ja schon schwierig, dem Tempo dieser Verrücktheiten in einem Blog zu folgen, wenn man noch einem bürgerlichen Beruf nachgeht. Aber die übrigen Parteien des Landes stehen nun mit offenem Mund da, und bekommen keinen geraden Satz mehr heraus. Othmar Karas durfte eine Weile den EU-Clown spielen. Doch jetzt ist das Laborexperiment wohl wieder vorbei. Jetzt geht’s um die Verteilung des Schnitzels und da lässt der Kanzler doch lieber Karoline Edstadler mit dem scharfen Hund der FPÖ kuscheln.

11. Mai 2019: Von Satiren und Distanzierungen

Die Krux unserer politischen Gegenwart in Österreich ist, dass es immer schwerer fällt, zwischen Satire und Realität zu unterscheiden.

Hier ein paar Tipps und der Versuch ein wenig Ordnung in dieses Verwirrspiel zu bringen:

1.) Die Schenkelklopf-Satire

Besonders beliebt bei Mitgliedern der verschiedenen Fraktionen der türkisblauen Regierungspartei. Man wirft eine rassistische oder antisemitische Anspielung in die Öffentlichkeit. Wartet bis sich die entsprechenden Entrüstungsrituale einstellen. Erklärt dann im Brustton der Überzeugung, dass es sich um eine infame Unterstellung handelt, die den Nationalsozialismus verharmlosen würde. Haut sich auf die Schenkel und lacht sich halbtot.

2.) Die Distanzierung

Bedarf guter Abstimmung zwischen verschiedenen Gliederungen der türkisblauen Regierungspartei. Man verbreitet rassistische und antisemitische Videos, Aufkleber und Parolen oder verbreitet Gewaltaufrufe im Internet weiter. Ein Regierungsmitglied distanziert sich öffentlich von dieser „Ausdrucksweise“ (wörtliches Zitat) am nächsten Tag auf das mildeste. Einen weiteren Tag später hält man eine Rede vor besten Freunden und findet die Parolen, von denen man sich am Vortag „distanziert hat“ inhaltlich völlig berechtigt. Dann haut man sich gegenseitig auf die Schenkel und lacht sich halbtot.

3.) Die lustige Distanzierung

Schon erfolgreich vom Vizekanzler ausprobiert, aber sparsam zu benutzen, damit sich der Effekt nicht verbraucht. Als Politiker kann man bei zu exzessiver Anwendung dieses Rezepts unter Nebenwirkungen leiden. Aber ab und zu geht schon: Man setzt irgendein Hassposting in die Welt, und behauptet hinterher, es habe sich um Satire gehandelt. Und dann haut man sich mit seinen Freunden auf die Schenkel und lacht sich halbtot.

4.) Der Vergleich

Irgendjemand hat einen mal wieder bei der Wiederbetätigung erwischt, und – da Gerichte schnell mal überfordert sind – mangels anderer Möglichkeiten halt einen Kommentar im Standard oder einer anderen auflagenmäßig „irrelevanten“ Qualitätszeitung geschrieben. Kein Problem, der Boulevard wartet nur auf die nächste „Enthüllung“. Da bittet doch tatsächlich eine SPÖ-Ortsgruppe die für den 1. Mai engagierte Band, nicht unbedingt mit Gabalier-Songs aufzuspielen. Und die machen sich einen Spaß draus, erst recht Gabalier zu spielen. Ein SPÖ-Mitglied erinnert die Band an ihren Vertrag. Also irgendwie ein normaler Vorgang in einer bürgerlichen Gesellschaft. Für Andreas Gabalier und die „Krone“, und „Oe24“ und „Heute“ ist das, wie man erfährt, „Faschismus“. Gabaliers Musik nicht zu mögen, das ist doch ungefähr dasselbe, wie antisemitische Karikaturen posten, oder? Und nachdem wir jede Diskussion über Faschismus, Rassismus und Antisemitimus damit vollends lächerlich gemacht haben, treffen wir uns mit Gabalier auf ein Bier, hauen uns gegenseitig auf die Schenkel und lachen uns halbtot.

Nun gibt es auch den Versuch auf andere Weise satirisch zu sein. Wie wirksam das ist, müssen wir noch abwarten.

1.) Politkarriere

Statt als Politiker zum Satiriker zu werden, wie der österreichische Vizekanzler, kann man auch als Satiriker zum Politiker werden. In Italien hatte das ungefähr den gleichen Effekt wie das österreichische Modell. Der Ausgang des ukrainischen Experimentes ist noch offen.

2.) Einfach weiter Satire machen, als ob nichts wäre

Jan Böhmermann macht unverdrossen seinen Job. Vor gar nicht so langer Zeit bekam er dafür sogar Beifall vom österreichischen Boulevard. Da hatte er sich mit dem türkischen Sultan angelegt und ihn mit seinem Schmähgedicht aus der Reserve gelockt. Der österreichische Boulevard fand nichts dabei, dass Böhmermanns Schmähgedicht-Experiment dem türkischen Sultan Sex mit Ziegen unterstellte. Das war eine Satire. Und als der Sultan Strafverfolgung forderte, wusste man wieder einmal, dass in der Türkei die Menschenrechte in Gefahr waren.

Vor ein paar Tagen wurde Böhmermann in der ORF-Sendung „Kulturmontag“ von Christian Konrad auf eine Äußerung von Thomas Bernhard angesprochen, der die Österreicher vor vielen Jahren als „sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige“ bezeichnet hatte. Böhmermann korrigierte Bernhard insoweit: „Das Rad der Zeit hat sich ja weitergedreht: Jetzt sind es schon acht Millionen Debile.“ Der österreichische Nationaldichter war bekanntlich nicht nett. Das hat weder Politik noch Medien daran gehindert, ihn irgendwann mit Lobeshymnen und Preisen zu umarmen. Auch Jan Böhmermann ist nicht „nett“. Er übertreibt wirklich schamlos. Ich kenne viele Österreicher, die an dieser Regierung wirklich nicht schuld sind.

Auch in Österreich droht Böhmermann jetzt Strafverfolgung. So wie in der Türkei. Soweit wären wir also schon mal auf dem Weg der vielen kleinen Schritte. Die Klagschrift eines Wiener Anwalts (wird sich ein Gericht damit wirklich beschäftigen?) enthält unter anderem die Formulierung, dass sich der Kläger „persönlich als Staatsbürger gestört“ fühle, zum Beispiel durch Äußerungen Böhmermanns wie „Ein 32-jähriger Bundeskanzler ist übrigens nicht normal.“ Er selber sei immerhin 38, aber: „Ich würde auch nicht wollen, dass ein 38-Jähriger Bundeskanzler ist. (…) Aber Ihren Versicherungsvertreter mit dem ganzen Haargel: Haben Sie da niemand Besseren? Und dürfen Sie das überhaupt senden, was ich sage?“

3.) Die satirische Distanzierung

Moderatorin Clarissa Stadler hat sich am Ende des Beitrags folgendermaßen zu Wort gemeldet: „Der ORF distanziert sich von den provokanten und politischen Aussagen Böhmermanns“. Dutzende von ernsthaften Journalisten sind entsetzt über diese „Distanzierung“ des ORF hergefallen.

Hallo? Die Ironie nicht bemerkt?
Aber wenn ORF-JournalistInnen nichts anderes mehr übrig bleibt, als selbst Satiriker zu werden, scheint im Sender tatsächlich der Wasserstand zu steigen.

3. Mai 2019: Verbindung, schlagend

Eigenwillige Nachrichten im ORF, und das auf nüchternen Magen vor dem Frühstück: Das Bundesheer installiert Verbindungsoffiziere in Ministerien.

Der Oberbefehlshaber des Heeres, Bundespräsident Van der Bellen, weiß davon nichts. Aber dafür der blaue Verteidigungsminister Mario Kunasek. Eine entsprechende Stelle gäbe es jetzt im Finanzministerium, im Innenministerium, im Bildungsministerium, im Infrastrukturministerium und im Büro von Vizekanzler Strache. Die Meldung, ein Verbindungsoffizier sei auch im Kanzleramt installiert, wurde hingegen von Kunasek dementiert.

Verbindungsoffiziere würde es aber bald in allen Ressorts geben. Manchmal auch nebenberuflich. Der Verbindungsoffizier im Finanzministerium sei z.B. der Kabinettschef von Staatsekretär Hubert Fuchs (FPÖ).

Auf die Frage, was diese Leute denn dort machen würden, kam aus dem Verteidigungsministerium eine originelle, ja fast schon humorvolle Antwort: „Es gehöre zu den Kernaufgaben des Bundesheeres, Verbindungen herzustellen und informiert zu sein.“ Das gehöre zur „umfassenden Landesverteidigung“, so Bundesheersprecher Michael Bauer. Das Ganze sei doch eine „Serviceleistung“, wenn etwa der Unterrichtsminister eine „Zuarbeit bei der geistigen Landesverteidigung“ brauche, könne er direkt auf die Expertise zugreifen.

Ich versuche mir vorzustellen, was das heißt. „Identitäre“ könnten im Heimatkundeunterricht Bevölkerungstausch-Aufklärung anbieten, oder?

Bildungsminister Heinz Faßmann zeigt sich über die neue Kraft in seinem Ministerium auf Anfrage überrascht. „Konkret wissen wir im Haus nichts davon.“ Einen Verbindungsoffizier im Bildungsministerium gäbe es nicht. Vielleicht ist Faßmann aber auch einfach nur schlecht informiert, oder im entscheidenden Moment falsch verbunden gewesen.

Nun installiert das schlagende Verbindungsministerium (vulgo „Verteidigungsministerium“) also ein eigenes Spitzelnetzwerk quer durch die anderen Ressorts. Damit man zumindest im Hause Kunasek/Strache/Kickl immer gut informiert ist. Das Ganze ist eine Idee von Generalsekretär Baumann, der früher für das Heeresnachrichtenamt tätig war und inzwischen engster Berater des Ministers ist.

Dafür gibt’s im Bundesheer offenbar Geld und Manpower genug. Und der Kanzler ist mit seinen „Reformen“ beschäftigt. Frechheit siegt.

29. April 2019: Outsourcing statt Rechtsextremismus

Zu unserem Glück verfügt die Bundesregierung über einen kompetenten Experten in Sachen Rechtsextremismus, der an diesem Wochenende die österreichische Öffentlichkeit aufgeklärt hat. Vizekanzler und Wehrsportminister Strache ist um eine klare Definition nicht verlegen. Rechtsextremismus besteht im Versuch eines gewaltsamen Umsturzes. Rechtsextreme Ideologie hingegen ist völlig okay. „Nur dort, wo jemand versucht, seine politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen, handelt es sich um Rechtsextremismus, der selbstverständlich in einer Demokratie nichts verloren hat,“ so Strache in seinem jüngsten Interview in der „Krone“ am Sonntag.

Wie gut dass wir nun wissen, dass auch der Nationalsozialismus vom Vorwurf rechtsextremer Umtriebe freizusprechen ist. Schließlich ist er durch Wahlen und Koalitionsvereinbarungen an die Macht gekommen, und hat seine Verbrechen von „Schutzhaft“ bis „Ausschaffung“ zumeist mit Verordnungen und Gesetzen gedeckt, ganz nach dem Grundsatz „Recht muss Politik folgen, nicht die Politik dem Recht.“ Na ja, ein bissel Drohung mit gewaltbereiten Verbänden wie der SA war auch schon dabei. Wehrsport halt. Aber das hat der Vizekanzler biografisch hinter sich. Ganz ehrlich.

Gegen den von ihm und den „widerwärtigen“ Identitären (so Kanzler Kurz) wortgleich beschworenen „Bevölkerungsaustausch“, also gegen Zuwanderung, will er jedenfalls mit friedlichen Mitteln „kämpfen“. Der libyschen Küstenwache und den Sklavenlagern in Nordafrika zum Beispiel? Das wäre dann wirklich zeitgemäß: „outsourcing“.

25. April 2019: Tradition schlägt Migration

Herr Vilimsky wird zum Gespräch gebeten. Der blaue Spitzenkandidat zur Europawahl wird von Armin Wolf interviewt. Und erwartet nach eigenem Bekunden, dass man ihm Fragen zur Wahlkampagne und zu den Plakaten der FPÖ stellt. Warum sollte man das eigentlich?

Armin Wolf hat ein Plakat der Freiheitlichen Jugend aus der Steiermark gefunden, über das lohnt es sich mehr zu sprechen, wie sich bald herausstellt. Das Plakat ist gerade mal ein Jahr alt, stammt also aus der Zeit der türkisblauen Regierung. Und es ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Das gleiche Motiv gibt’s auch als Aufkleber, der wird von der freiheitlichen Jugend vermutlich noch immer benutzt: „Tradition schlägt Migration“. Welchen semantischen Sinn das Wort „schlagen“ in dieser Parole haben soll, ist nicht ganz klar. Beim Kartenspielen hat das etwas mit übertrumpfen zu tun. Bei Burschenschaften sind die Hiebe schon schmerzhafter. Und in der politischen Realität im Umgang mit Minderheiten gibt’s da noch andere Traditionen in Österreich.

Zu sehen ist ein glückliches, junges „steirisches“ Paar in „Tracht“, umgeben von finsteren Gesellen über deren Herkunft uns Harald Vilimsky im arglostesten Ton der Unschuld auch gerne im ORF aufklärt:

„Ich erkenne hier islamische Zuwanderer. Ich glaub das an diesen Käppis zu erkennen. Schauen sie nur diesen Pierre Vogel an, diesen deutschen Islamisten, der hat auch so ein Käppi.“

Nun ist Pierre Vogel kein Zuwanderer, sondern genauso arisch-deutsch wie Herr Vilimsky es gerne wäre. Geboren in einem Vorort von Köln, Sohn eines Mitglieds der Hells Angels und evangelisch getauft und als 23jähriger zum salafistischen Islam konvertiert. Der hat seiner Suche nach Bedeutsamkeit offenbar das beste Forum geboten. Unter muslimischen Zuwanderern in Österreich spielen Salafisten (die in der Tat gerne Häkelkäppis) tragen, keine wirklich große Rolle. Aber sie machen genauso gerne mit radikalen Sprüchen auf sich aufmerksam, wie Herr Vilimsky, der leider in Österreich tatsächlich eine gewisse Rolle spielt, seitdem türkisblau alle Tore nach rechts aufgerissen hat.

Auch wenn Pierre Vogel vor seiner Konversion als jugendlicher Boxchampion unterwegs war, fehlen ihm keine Zähne. Ganz anders die islamischen Finsterlinge auf dem FPÖ-Plakat, die freilich nicht nur wegen ihrer gähnend-schwarzen Zahnlücken, sondern vor allem wegen ihrer„semitischen“ Hakennasen auffallen, die einen, ob man nun will oder nicht, an was erinnern? Na ja, an einschlägige antisemitische Karikaturen natürlich, die die Autoren der FPÖ-Jugendkampagne offenbar im Schlaf beherrschen.

Armin Wolf hat zum besseren Verständnis dieser Bildsprache ein historisches Referenzmotiv herangezogen, aus dem „Stürmer“, dem ausgewiesenen Fachblatt für antisemitische Propaganda. Und jeder sah, wie sich die Bilder gleichen. Nur Herr Vilimsky sah etwas anderes, nämlich rot. Das ist, wenn er auf Armin Wolf trifft, auch nicht überraschend. Denn egal, was Armin Wolf sagt, für Herrn Vilimsky ist es eh nur „rote Propaganda“.

Herr Vilimsky ging freilich noch weiter. Er drohte offen mit Konsequenzen. Schließlich befinden sich die türkisblauen auf dem Höhepunkt ihres Machtrausches. Gerade hat man ein Lieblingsprojekt durchgezogen und die Mindestsicherung wieder abgeschafft. Da lässt man sich doch von einer „roten Socke“ wie es im blauen Darknet heißt, nicht ans Bein pissen.

„Das ist etwas, das nicht ohne Folgen bleiben kann,“ lässt Vilimsky ungeniert vor laufender Kamera wissen. Von Orban oder Erdogan lässt es sich gut lernen, wie man mit der „Journaille“ umzugehen hat.

Zum Gegenstand selbst hat Vilimsky außer seinen halbgebildeten Ausflügen in das Studium der Kopfbedeckungen arisch-muslimischer Konvertiten aus Kölner Vororten vor allem die üblichen Formeln zu bieten: 1. In der Steiermark hätte sich darüber keiner aufgeregt. 2. Ich würde das nicht so machen. 3. Das Bild zeigt doch gar keine Juden sondern Muslime.

Was ER machen würde ließ er dann in ganz bescheidener Darstellung seiner unbedeutenden Rolle in der österreichischen Politik über die üblichen Parteikanäle, also die Zeitungen „Heute“ und „ÖSTERREICH“ die Öffentlichkeit wissen:

„Ich werfe dem ORF und dem Herrn Wolf übelste Manipulation in einem der sensibelsten Bereiche vor. Man kann über den Stil dieses Plakats reden. Ich hätte es nicht so gemacht. Aber es ist durch die Moschee klar ersichtlich, dass das Islamisten sind. Das erkennt man auch an der Kopfbedeckung. (…)

Ich erwarte mir, dass Wrabetz hier einschreitet. Und ich sehe als Gebührenzahler, nicht als Politiker, auch gar keine andere Konsequenz, als dass Wolf abgezogen wird. (…)

Also wäre ich Wrabetz, würde ich Wolf vor die Tür setzen! Ich bin aber nur Gebührenzahler und ich möchte aus meiner kleinen Rolle auch keinen Hehl machen.“ („Heute“)

„Wenn jemand im öffentlich-rechtlichen eine derartige Manipulation durchführt – nämlich aus einem Gesamtplakat einen Ausschnitt reduziert und den einem Stürmer-Magazin gegenüberstellt und mit der Judenverfolgung von damals assoziiert – ist das eine Sache, die aus meiner Sicht der ORF mit den entsprechenden Konsequenzen bedenken muss.“ („ÖESTERREICH“)

Nun hat Armin Wolf im ORF das „Gesamtplakat“ (der sprachschöpferische Genius der FPÖ ist einfach bewundernswert) durchaus präsentiert. Einen Ausschnitt hat hingegen die freiheitliche Jugend selbst als Aufkleber produziert. Für unsere Antisemitika-Sammlung im Jüdischen Museum möchte ich hiermit ausdrücklich ein Exemplar bei den jungen Leuten in Graz bestellen.

Ein Ausschnitt der FPÖ aus dem „Gesamtplakat“

Beim Durchblättern einschlägiger Motive ist mir noch ein anderes Referenzmotiv eingefallen, dass nur mit viel Ironie erträglich ist. 1934 erschien im Stürmer eine Karikatur, die fast als unmittelbares Vorbild für den Ring freiheitlicher Jugend gedient haben mag. Da wird einem feschen deutschen Mädel und ihrem ebenso feschen deutschen Burschen ein dicker Jude mit der üblichen Nase entgegengesetzt. Noch im gleichen Jahr haben türkische Faschisten die Karikatur für den türkischen „Markt“ adaptiert, mit einem strammen türkischen Pärchen, einer kleinen heimatlichen Dorfmoschee im Hintergrund und dem gleichen gierigen Juden. Es gibt eben auch Traditionen die migrieren. Man lernt ja voneinander.

Karikaturen in Deutschland und der Türkei 1934