Vom 13.-16. Juni fanden sich 10.000 Teilnehmer eines „ökumenischen Kongresses“ in der Wiener Stadthalle ein, um dem freikirchlichen Prediger Ben Fitzgerald zu lauschen, unter dem Motto: „Awakening Austria“.
Der Australier, der mit der Bewegung „Awakening Europe“ (auch „Godfest Ministries“ genannt) nach eigenem Bekunden Europa vom Islam zurückerobern möchte, hat einen ähnlichen Karrierestart hinter sich, wie so mancher islamistische Attentäter. Angefangen hat Fitzgerald als Drogendealer, doch dann kam ein Erweckungserlebnis.
In einem Nachtklub, so sagt er, sei ihm 2002 Jesus begegnet. Und er hätte begonnen zu missionieren. In Nürnberg habe er das Reichsparteitagsgelände besucht und dort hätte er eine weitere Vision gehabt, wie er einem Interviewer freimütig bekannte. „Ich sah all diese europäischen Gesichter: Menschen mit ukrainischem Aussehen, Norweger mit blonden Haaren und blauen Augen – Spanier, Deutsche. Ich sah all diese Europäer in diesem Feld stehen, und sie sagten immer wieder einen Satz: Gott, würdest du dir Europa zurückholen? Hol Europa zurück.“ Warum ihm diese Vision ausgerechnet auf dem Reichsparteitagsgelände gekommen ist, ließ er offen. Hat er zu viele Riefenstahl-Filme gesehen?
Die „heilige Gelegenheit“, so Fitzgerald, würde man nutzen, und „eine hohe Ernte einfahren, sobald man das Schwert in die Schlacht führt“. Bei einer „Holy Spirit Night“ vor tausenden Gläubigen in Stuttgart forderte Fitzgerald die Deutschen auf, stolz darauf zu sein, Deutsche zu sein. Und spottete: „Wen interessiert Geschichte?“ Er ist davon überzeugt, „dass die Zukunft der Nationen von Europa durch radikal Glaubende verändert wird, die frei leben und Jesus mutig bekannt machen“.
Kardinal Christoph Schönborn hat es sich nicht nehmen lassen, in der Wiener Stadthalle für einen „Impuls“ vorbeizuschauen, „im Sinne einer ökumenischen Veranstaltung“. Er habe das Setting vorher geprüft. Vielleicht auch nicht sehr gründlich. 2017 war beim „Awakening Europe“ in Prag unter anderem der deutsche „Pfingstler“ Reinhard Bonnke dabei, der sich selbst als „Mähdrescher Gottes“ bezeichnet und dessen Auftritte Massenhysterien auslösen.
Üblich sind bei den Veranstaltungen von „Awakening Europe“ auch routinemäßige Gebete gegen Homosexualität und andere Sünden wider die Natur (Verhütung mit der Pille, Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe und so weiter). Zum Abschluss am Sonntag, den 16. Juni, hatte man auf der Bühne der Stadthalle schließlich einen besonders prominenten Gast zu feiern. Altkanzler Kurz. Oder „Sebastian“ wie ihn Ben Fitzgerald überschwänglich begrüßte.
Und Fitzgerald ließ es sich nicht nehmen, Sebastian Kurz persönlich zu segnen:
„Gott wir danken dir so sehr für diesen Mann. Für die Weisheit die du ihm gegeben hast. Für das Herz, dass du ihm gegeben hast für dein Volk.“ Die „Aufrichtigkeit von Kurz“ richte die Nation auf.
Das Video von der Segnung des Sebastian, auf die die 10.000 Gläubigen in der Stadthalle mit ekstatisch emporgerissenen Armen antworteten, hat im Netz Verwunderung ausgelöst. Die konservative Presse zeigte sich besorgt darüber, dass dem Altkanzler die „Message Control“ offenbar entglitten ist. Neos Gründer Matthias Strolz empfand sich als kritischer Katholik gar „in den Arsch getreten“, bei soviel Vermischung von Religion und Politik, die einen im Übrigen an alles mögliche erinnerte, nur nicht an die österreichische Verfassung und die daran festgehaltene Trennung von Kirche und Staat. Aber ob dieser Auftritt Kurz wirklich schadet?
Hinterher galt es von allen Seiten dennoch erst einmal so zu tun, als ginge es um Schadensbegrenzung. Und das hieß: nicht nur aus der Erzdiözese, sondern auch aus dem Team des Altkanzlers und von den Veranstaltern wurden diverse Nebelgranaten abgefeuert.
Kurz dämmerte es wohl schon auf der Bühne, dass sein Auftritt von vielen falsch, oder vielleicht auch gerade richtig verstanden werden könnte. Und er beeilte sich, vor allem Kardinal Schönborn für sein Gebet für Österreich zu danken.
Kardinal Schönborn hatte sich unter anderem mit Mohammed beschäftigt: „Wenn Mohammed erlebt hätte, dass die Christen eins sind, dann hätte die Welt, dann hätte auch Mohammed geglaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist.“ Wie hatte Mohammed damals, so um 614, nur schon die Kirchenspaltung und die Probleme der christlichen Ökumene ahnen können? – fragte sich vermutlich niemand im Saal.
Michael Prüller, „Kommunikationschef“ der Erzdiözese, rechtfertigt die Teilnahme von Kardinal Schönborn und auch das Massengebet für Kurz. Es sei ja üblich für Politiker zu beten und „den Heiligen Geist zu bitten, ihn mit den Gaben auszustatten, die er in seiner Funktion braucht. In diesem Fall waren es Weisheit, Rechtschaffenheit und Schutz.“ Aber Ben Fitzgerald hat in erster Linie um gar nichts gebeten. Er hat Gott für seinen treuen Mitkämpfer „Sebastian“ gedankt, den er ganz offenkundig für den geeigneten Mann hält, seinen Kreuzzug nun auch in Österreich zum Erfolg zu führen.
Auch der Sprecher der Veranstalter war um Desorientierung bemüht. Man hätte Kurz ja „nur“ als Bundeskanzler und das schon vor langer Zeit eingeladen. Auch wenn es ein anderer aus einer anderen Partei gewesen wäre, hätte das nichts geändert. Und es hat offenbar niemand gewundert, dass Sebastian Kurz diese Einladung an den Kanzler der Republik kurzerhand in sein Privatleben als Kandidat mitgenommen hat. Überhaupt, so ließ er hinterher mitteilen, habe ihn die Segnung überrascht. Und man hätte ihm doch angesehen, dass er etwas „starr“ reagiert hätte, für seine „Verhältnisse“. Nun ja, man wird auch nicht alle Tage von einem charismatischen Retter des Abendlandes gesegnet.
Dabei kennt Kurz sich mit der Szene der radikalen Freikirchen und Charismatiker schon ein wenig aus, hat er doch schon als Minister am „Marsch für Jesus“ 2016 teilgenommen (wie auch Kardinal Schönborn), der „zufällig“ am gleichen Tag wie die Wiener Regenbogenparade stattfand, an der nun auch die junge ÖVP teilnehmen möchte.
Und er hält über die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler oder seinen Vertrauten Bernhard Bonelli Kontakt sowohl zu Freikirchen wie zum katholischen Rechtsaußen-Orden Opus Dei. Aber diese Kontakte bestehen schon länger. Aus den Mitteln des von der ÖVP kontrollierten „Wiener Stadterweiterungsfonds“ wurden, wie man jetzt vom Rechnungshof erfährt, zum Beispiel 100.000,- € an eine der Opus Dei nahestehende katholische Universität in Rom überwiesen – bei der folgenden päpstlichen Ordensverleihung im Mai 2012 ließ sich auch der Integrationsstaatssekretär und ehemalige Wiener Gemeinderat Sebastian Kurz fotogafieren. 250.000,- € gingen hingegen an die Erzdiözese für einen Kirchenneubau in Aspern, der allerdings bis heute nicht zustande kam.
Insofern wundert es nicht, wenn der Ex-Kanzler nun auch das „Heilige“ in die Politik einführt. Bei der Verkündung seines 5 Punkte Programms für die anstehende Nationalsratswahl durfte vor wenigen Tagen auch die „Verteidigung von dem was uns heilig ist“, nicht fehlen: die „österreichische Identität“ und die definiert Kurz als das „christlich-jüdisch-abendländische Erbe.“ Womit der Kandidat endgültig bei der neuen Kreuzzugsmetapher angekommen ist, mit der religiöse Fundamentalisten seit Jahren die Werte der Aufklärung und der Trennung von Kirche und Staat lächerlich machen und für ihren Kulturkampf gegen den Islam missbrauchen.
Vielleicht haben wir in Wien ja auch bald Steve Bannon zu Gast, Donald Trumps früheren Chefstrategen, der sein ultrakonservativ-katholisches „Diginitas Humanitas Intitut“ zur „Gladiatorenschule für Kulturkämpfer“ und zu einer „Akademie für den jüdisch-christlichen Westen“ ausbauen will, die die nächste Generation der „Anti-Establishment Politiker“ heranziehen soll.
Man erinnert sich wehmütig an den aus Hohenems stammenden liberalen Wiener Gemeinderat Lucian Brunner, der 1899 noch erfolgreich gegen eine Kirchenbausubvention der Stadt Wien für einen von Bürgermeister Lueger geforderten Kirchenneubau in Breitensee geklagt hatte. Er bekam vor dem Verwaltungsgericht schließlich Recht. Schon damals sah die österreichische Verfassung ja eine Trennung von Kirche und Staat vor. Aber das bewahrte Brunner nicht davor, zum Lieblingsfeind der Wiener Antisemiten zu werden. Soviel zum „jüdisch-christlichen Erbe“.